"ohne Titel (The holy place is never empty)"
Kölner Dom
Tiere sind wiederkehrende Motive in Anna Jermolaewas Arbeit. Dabei geht es weniger um eine symbolhafte Parallelführung von tierischen und menschlichen Eigenschaften, sondern vielmehr um alltägliche und konkrete Situationen der Koexistenz von Mensch und Tier. In den hier gezeigten Fotografien besetzen Tauben eine leerstehende Nische der reichlich geschmückten Fassade des Kölner Doms sowie eines buddhistischen Tempels in Burma. Der Titelzusatz, (The holy place is never empty), mag einerseits als lakonischer Kommentar zum horror vacui der Ausstattungskultur christlich-sakraler Bautradition in der Gotik gelesen werden: Kunstvolle Skulpturenzyklen sollten die Kunde der kanonisierten religiösen Lehre verbreiten, in der Tauben bekanntlich eine zentrale Rolle spielen. Sie sind aber andererseits auch stets präsent im Treiben von Großstädten sowohl in Europa als auch in Asien. Jermolaewas Momentaufnahmen geraten so zu einer augenzwinkernden Reflexion über das Verhältnis von Vögeln und Menschen sowohl im städtischen Raum als auch in der Ikonografie der großen Weltreligionen.
(Krzysztof Kościuczuk, 2015)
Anna Jermolaewas Arbeit ist gekennzeichnet durch eine kritische Reflexion bestehender politischer Herrschafts- und Machtstrukturen. So auch in Ohne Titel (The holy place is never empty), worin die Künstlerin die Bildsymbolik und damit die bildliche Deutungshoheit der katholischen Kirche mit deren eigenen Offenbarungsmythen ironisch überschreibt. Anstelle einer Heiligenfigur in einem gotischen Kirchengew nde finden sich gleich zwei Tauben bzw. "Heilige Geister" ein und lassen so an der bisherigen berlieferung von "Einheit" und "Trinität" starke Zweifel aufkommen.
(aus: Ludwig Wittgenstein. Fotografie als analytische Praxis, Leopoldmuseum Wien, 2021)