"Ohne Titel (Äste)"
C-Print, Pflaumenholzrahmen geölt mit rauer Kante
Der Besucher weiß nicht, was ihn erwartet. Er weiß eigentlich nichts. "Land." "Land." Der Unterschied zwischen Englisch und Deutsch ist hier minimal. Aber in jedem Fall ist der Künstler anwesend. Das allein würde schon ausreichen, um zu behaupten, dass wir uns hier und jetzt mit Kunst umgeben und vielleicht sogar in sie eintauchen können. Die bloße Erwähnung der Tatsache, dass der Künstler anwesend ist, sollte genügen - und Sie, die geschätzten Gäste der Veranstaltung dieses Abends, in eine heitere und versöhnliche Stimmung versetzen. Und wir täten wahrscheinlich gut daran, dem, was vor uns liegt, mit Offenheit und Neugierde zu begegnen.
Vielleicht sollten wir versuchen, auf allzu ehrgeizige Überlegungen zu verzichten: Fiktion und Realität Raum und Zeit öffentlicher Raum und Zufluchtsorte Raumkonzepte und Naturakte privater Raum und öffentliches Interesse das Intime und Kollektive das Virtuelle und Unmittelbare die formale Existenz von Dingen und bedrohlichen fremden Gebilden Intelligenz und Ästhetik die Wüste als Membran der Ausdehnung und als Bühne, auf der man sein Leben leben kann utopische Visionen und die Diktatur des Mittelmaßes.
Vielleicht sollten wir, wie gesagt, sofort handeln, um solche Gedanken auszulöschen. Um zu vermeiden, sie überhaupt in Betracht zu ziehen - das sollten wir versuchen. Das entspräche dem Wesen der Kunst, die - sofern sie aus freiem Denken entsteht - immer Elemente der Überraschung oder des Neuen und Frischen enthält", erinnert sich ein Gespräch, das ich 1983 mit Padhi Frieberger für die Architekturzeitschrift UMRISS führte, die ich damals herausgab. "Wenn ich Van Gogh im Wald gesehen hätte, wäre ich zu ihm gegangen und hätte sein Genie erkannt. Und wahrscheinlich auch seine Fähigkeit - die er an andere weitergeben oder vermitteln konnte. Das steht in krassem Gegensatz zu diesem oder jenem Galeristen oder Kunsthistoriker, der immer irgendeine Art von Beweis von Künstlern benötigt, die sich weigern, ihre Absicht zu verwirklichen. Wichtig ist aber nur, dass ein Künstler es in sich trägt. Denn dort begegnet man schließlich dem wahren Künstler. Aber der Beweis in Form von realisierten Ideen ist meist eine wichtige Sache - vor allem für diejenigen, die damit spekulieren, die mit dem Werk des Künstlers Geld verdienen wollen. Nun sind wir unsererseits nicht im Wald, sondern in einer Galerie, in den heiligen Hallen der Galerie Zimmermann Kratochwill. Und heute Abend haben wir in der Tat die Gelegenheit, den Künstler Alfredo Barsuglia kennen zu lernen, der nicht müde wird, immer wieder neue Denkanstöße, inszenierte Szenarien, Raumsequenzen, Raumereignisse und Schauplätze des Lebens zu liefern und sie in die Welt und in das Land seiner Ideen zu bringen. Vielleicht hat Alfredo beschlossen, uns heute etwas vertrauter mit der kalifornischen Wüste zu machen oder - anders ausgedrückt - uns ein wenig an seinem Prozess der Dechiffrierung von Zuständen und Ereignissen unweit von Palm Springs, etwa 150 km außerhalb von Los Angeles, teilhaben zu lassen. Es ist ein Gebiet, das mir nicht unbekannt ist. Ganz und gar nicht. Tatsächlich ist dieses Land ein Ort, den ich irgendwie recht gut kenne. Man könnte fast sagen, dass es mir ans Herz gewachsen ist. Hier, fernab von menschlichen Siedlungen (die nächstgelegene ist die Pionierstadt) und sozusagen mitten in der Wüste, hat der 1. März 2007 einen entscheidenden Schritt in die Zukunft gemacht. Alfredo Barsuglia lebte und arbeitete 2006 als Artist-in-Residence im MAK Center Los Angeles. Ich möchte noch Folgendes anmerken: Als ich 1994 dieses Programm ins Leben rief, war es mir ein Anliegen, all jene Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig sind, um die interessantesten und radikalsten Kräfte in den Bereichen Kunst und Architektur anzuziehen, unabhängig von ihrer Nationalität. Heute, gerade auch in Österreich, sind viele der prominentesten Künstler und Architekten der jüngeren Generation ehemalige Stipendiaten - wie Mathias Poledna, Markus Schinwald, Dorit Margreiter, Andreas Fogarasi und Hans Schabus, die an verschiedenen Editionen der (Kunst-)Biennale Venedig teilgenommen haben. Alfredo Barsuglia ist ebenfalls ein ehemaliger Stipendiat des MAK-Zentrums in Los Angeles. Ein wichtiger Faktor dabei war, dass wir die Politik hatten, jedes Jahr eine neue Jury zusammenzustellen, und diesen Jurys gehörten immer Künstler und Architekten von internationalem Rang an. Alfredo stellte sich dieser Herausforderung und gab sich dem völlig Unerwarteten und Unbekannten hin und realisierte bereits seine ersten Kunstprojekte zwischen Hollywood und der kalifornischen Wüste. Wir hatten auch einen gemeinsamen Wüsten-Freund: Steve Lowe, der Autor, Biograph und Freund von William S. Burroughs. Und zusammen mit Lowe gab es das Beat Hotel und das Desert Hot Springs Motel von John Lautner. John Lautners Motel - eine wirklich einzigartige architektonische Manifestation mitten in der kalifornischen Wüste. All dies nur als Verweis auf das, was im Umkreis von 200 km von dem Ort lag, den Barsuglia für sein Projekt "Social Pool" wählte. Alles andere, meine Damen und Herren, wird sich hier und jetzt offenbaren.
(Peter Noever, Wien, 2014)