"Felsenbaum von Norden, Prandegg"
Mühlviertel, Oberösterreich
Gelatinesilberabzug
rückseitig signiert, betitelt und nummeriert (Bleistift)
Der Photograph vor dem Winter
Das Hier und Jetzt ist der Stoff des Photographien. Am Auslöser ist unweigerlich Gegenwart. Gerhard Trumler sucht in dieser Gegenwart Motive, die Relikte einer vergangenen Zeit sind. Die letzten Zeugen und Zeugnisse einer Welt, die sich der Moderne zuwendet und damit alles Regionale löscht. Der Gemischtwarenladen im Dorf, der bröckelnde Putz des Bauernhauses, der alte Reisigbesenbinder, das letzte Strohdach des Waldviertels, immer wieder gefurchte Gesichter und Acker, schwielige Hönde, emaillierte Blechhafen. Hymnen auf die Kittelschüze! Trumler kommt kurz bevor es das alles nicht mehr gibt: gekalkte Stuben, kariertes Betzeug, Herzjesu- und Herzmariäbilder, Walzen und Schablonendekor in den Kammern, marode Herrgotte an den Wegen und die gewachsenen Steine in den Wiesen. Das ist der Nachsommer der Heimat, das Land vor dem Winter.
Und immer wieder der vertrauensvolle Blick in die Kamera. Bei allem Respekt vor der jenseitige Ewigkeit vermittelnden Macht des Pfarrers doch die Hoffnung, daß der Photograph dem Dasein hiesige Dauer verleihen wird! Er raubt das Bild, aber er schenkt Menschen und Dingen Nachleben.
Was bleiben soll in der Schwemme der Photographien, das braucht inhaltliche und bild graphische Evidenz. Und dazu greift Trumler schon aUch mal ein in die Wirklichkeit. Er hat keine Scheu vor dem Arrangement, wenn es dem Bild einen Markt und dem Abgebildeten damit ein Bleiben gibt: Das Bleiben - ein Austrag in effigie!
Den vergänglichen Menschen samt ihrem hinfälligen Lebenswerk gibt der Photograph Dauer. Es scheint ein Widerspruch, daß er aber das, was selbst nahezu ewig ist, die Steine in den Wäldern des Wald- und Mühlviertels, der ergänglichkeit überantwortet. Der ganze Gebirgszug vom Oberpfälzer über den Bayerischen und Böhmerwald bis zum Mühh und Waldviertel ist durchsetzt mit Granithärtlingen. Sie haben nicht die Schrunden der von den Gletschern zurückgelassenen Findlinge. Diese Steine sind einfach stehengeblieben, während Frost und Wasser das umgebende weichere Gestein abgetragen haben. Und sie werden noch lange unverändert so stehen, von beintrockenen Flechten überzogen und mageren Bäumen besiedelt. Adalbert Stifter hat sie mit immer neuen Worten gepriesen: "Und zwischen den Stämmen ist die Saat der Granitblöcke ausgebreitet, einige grau, die meisten mit Moos überhüllt dann scharen sich die Millionen Waldkräuler, die Waldblumen, dann sind die vielfarbigen Schwämme, die Ranken und Verzweigungen der Beeren, die Gesträuche, und es ist manches Bäumchen, das sein junges leben beginnt." (Aus dem Bayerischen Walde)
Dieselben Steine sind bei Gerhard Trumler ausgesetzt im ersten überweißen Schnee, sie wachsen nicht aus dem Boden, sondern versinken darin, gesellen sich zu entlaubten Bäumen, werden graphische Gebilde. Die Kömnung des Granits wird zum Äquivalent der Körnung des Lichtbildes. Der ewige, unverrückbare Stein wird Blatt, wird flüchtiges Bild, das angewiesen ist auf den Lichtbildner, der es fixiert. Diesen Widerspruch lebt der Wiener Photograph Gerhard Trumler rastlos.
Von Tirol bis ins Burgenland hält er im Lichtbild fest, was zu vergehen droht: die alten Menschen, das einfache Leben, die mürbe Schönheit der Natur. Und weil er, anders als die Menschen, die ihm Bild stehen, der Dauerhaftigkeit des Lichtbildes nicht völlig vertraut, läßt er Bücher drucken, ebenso rastlos, mehr als achtzig inzwischen. Zu den schönsten zählt Granit, das land vor dem Winter - Waldviertel, 1994 erschienen, sogleich zum "Schönsten Buch Österreichs" erkoren, 1996 gefolgt von Katzensilber, Land zwischen Mihel und Aist - Mühlviertel. Und weitere sollen nachkommen, auf Jahre hinaus schon geplant: Bergkristall, Turmalin, Kalkstein, Chalcedon usw. - rastlos das Vergängliche festhaltend, rastlos sich festhaltend an der lllusion, eines Tages wäre es ihm möglich, … sich endlich fallenzulassen, endlich zuzulassen, daß geschehen wird, was geschehen soll". (Gerhard Trumler auf der Rückseite des Schutzumschlages des Buches Granit)
Am Auslöser ist unweigerlich Vergänglichkeit.
(Martin Ortmeier, aus: Gerhard Trumler, Photographien 1970–2000, 2001, erstmals erschienen in Gerhard Trumler, Granit, 1998)