"Das 6 Tage-Spiel von Hermann Nitsch"
Prinzendorf
C-Print auf Karton
rückseitig signiert (Tinte) und Stempel
Am Montag, den 3. Aug. 1998, beginnt mit Sonnenaufgang im Schloß Prinzendorf (Niederösterreich) das Sechstagespiel des Wiener Aktionskünstlers Hermann Nitsch. Der Künstler nutzt das inmitten der idyllischen Landschaft des Weinviertels gelegene Schloß, das er seit 1971 bewohnt, als idealen Ort für sein Orgien Mysterien Theater.
Das Sechstagespiel ist ein sich über sechs Tage und sechs Nächte erstreckendes Fest, das sich nach Willen des Künstlers in Schloß, Garten und Umgebung ereignen soll. Den detailliert in einer Partitur festgelegten Handlungsablauf koordiniert der Münchner Regissseur Alfred Gulden; das 150-köpfige Orchester studiert der Salzburger Komponist Clemens Gadenstätter ein. Weiters wirken Blas- und Heurigenmusik sowie ein Chor mit. Die Proben für die insgesamt 150 Akteure der Aktionen beginnen Mitte Juli.
Die Organisation des Festes erfordert eine aufwendige Logistik, da während der gesamten Spieldauer auch für die Verpflegung der 1.000 aus aller Welt erwarteten Gäste gesorgt wird. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.
Das Fest ist der Höhepunkt des künstlerischen Schaffens von Hermann Nitsch, das in der Happeningkunst und im Aktionismus seinen Ausgang genommen hat. Das zentrale Anliegen: die Sensibilisierung und Intensivierung alle fünf Sinneseindrücke und deren synästhetische Kombination. Dazu gehören auch Essen und Trinken. Nitsch versteht das Fest als Gesamtkunstwerk in der Tradition von Richard Wagner und Skrjabin; Aktionen mit Fleisch und Blut stehen im Zusammenhang mit der mythenaufarbeitenden Psychologie von C.G.Jung. Erste Ideen des Künstlers zum Sechstagespiel datieren aus dem Jahr 1958.
Symphonie in sechs Tagen
"Das Sechstagespiel ist eine Komposition von realen Geschehnissen, das über alle fünf Sinne erfahrbar ist", sagt der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch über das Gestaltungsprinzip seiner bislang größten Aktion, die im Anfang August in Schloß Prinzendorf stattfindet. "Die sechs Tage und sechs Nächte sind vergleichbar einer sechssätzigen Symphonie, in der dramatische und meditative Sätze einander abwechseln und ergänzen."
So soll dem ersten Tag und seiner dramatischen Exposition (Stierschlachtung) ein ruhiger zweiter Tag folgen, an dem zwei große Malaktionen im Mittelpunkt stehen. "Der dritte Tag ist der Tag des Dionysos, der Tag des gebotenen Exzesses", erklärt Nitsch. "An diesem Tag sollen sich, wie in einem Scherzo, Ausgelassenheit und Tragisches vermischen".
Am vierten Tag folgen Ausstellungen und Installationen in allen Räumlichkeiten und im Park von Schloß Prinzendorf. Der fünfte Tag entspricht der Katastrophe des klassischen Dramas, dem " Abstieg in den Grundexzeß", wie Nitsch das nennt: auf die Schlachtung eines Stieres folgen Aktionen mit Fleisch, mit Gedärmen, mit Obst, Gemüse und Blumen. Der letzte Tag schließlich soll nach Willen des Künstlers mit Musik und Prozessionen in die unbeschwerte Stimmung eines Volksfests münden.
Die Nächte seines Orgien Mysterien Theaters vergleicht Hermann Nitsch, der seit den 1960er-Jahren alle seine Aktionen wie ein Komponist in Partituren genau festlegt, mit dem meditativen Adagio einer Symphonie: "Während ein Streichquintett unter dem nächtlichen Sternhimmel in der Kastanienallee spielt, verarbeiten die Zuhörer ihre Sinneseindrücke und versuchen Zugang zum Ganzen zu finden."
(nitsch.org)