"Kontinuum"
Gelatinesilberpapier, Rhythmograph
Der Rhythmograph, wie Heidersberger die Apparatur nannte, wurde mehrmals überarbeitet und perfektioniert. Mittels vier harmonisch gedämpfter Pendel erzeugt das Gerät über einen mechanisch gekoppelten Spiegel und eine punktförmige Lichtquelle Lichtspuren auf photographischem Material. Durch die Steuerung von Frequenz, Phasenverschiebung, Amplitude und Übersetzung der Pendel – zwei treiben den Spiegel vertikal an, zwei horizontal - entstehen dreidimensional wirkende Lichtzeichnungen. Die große Version, die aus einem handelsüblichen Baugerüst zusammengesetzt ist, steht heute wieder funktionstüchtig im Ausstellungsraum des Institut Heidersberger und nimmt fast zwanzig Quadratmeter ein.
Heidersbergers Lichtbilder, die den Zufall als Gestaltungsprinzip einbeziehen, entfalten ihren besonderen Reiz durch ihre räumliche Wirkung. Impulsgebend hierfür war Heidersbergers Lektüre eines Buches über "Physik in graphischen Darstellungen". Dort stieß er auf Kurvengraphen, die durch Überlagerung harmonischer Schwingungen entstehen und die nach ihrem Entdecker, dem Physiker Jules Antoine Lissajous (1822–1880), Lissajous-Schwingungen genannt werden. Die gezeichneten Schwingungsverläufe von eigentümlicher Schönheit forderten Heidersberger heraus, ähnliche Ergebnisse mittels der Photographie zu erzielen. Bald war er damit erfolgreich und nannte diese Lichtspurzeichnungen fortan Rhythmogramme.
Durch Fortentwicklung der Apparatur und Variation der Einstellungen konnte Heidersberger auch die Rhythmogramme in Stil und Motiv verfeinern. Mit jeder baulichen Änderung wurde die Maschine komplexer, der Einsatz routinierter und gleichzeitig spielerischer. Durch kurzzeitiges Löschen des Lichtes etwa fand Heidersberger zu neuen Spuren, auch begann er die Negative auszuarbeiten. Mit Umkehrungen, Mehrfachbelichtungen und Ausschnitten, die zu flächenhaften Kompositionen führten, sowie durch Solarisationen erzielt er eine gänzlich neue Bildsprache.
Der Rhythmograph steht im Schaffen Heidersbergers für die Synthese aus den künstlerischen und naturwissenschaftlichen Neigungen des Photographen. Die damit geschaffenen Rhythmogramme sind einzigartige Gebilde, die in ihrer spielerisch-heiteren Ästhetik schnell auch einem breiteren Publikum bekannt wurden. So diente etwa von 1956–1968 ein Rhythmogramm als Sendezeichen des Südwestfunk Baden-Baden.
(www.heidersberger.de)