"Taraxacum sect. Ruderalia #1"
pigmentbasierter Tintenstrahldruck auf Aluminium Dibond
Die Arbeit wurde in der Ausstellung Broken Flowers im Korridor – Raum für aktuelle Kunst im Rahmen des Fotofestival Foto Wien von 16. Juni bis 8. Juli 2023 gezeigt.
Die Arbeiten der Künstlerin passen in besonderem Maße zu dem Fotofestival-Thema „Die Lügen der Fotografie“, wo es um die Authentizität von Fotografie, um Sein und Schein, um Realität und Illusion geht – ein Thema, das bereits seit der Erfindung der Fotografie zur Diskussion steht und zu dem man bis heute und vielleicht gerade heute immer wieder neue Aspekte finden kann. Liddy Scheffknecht stellt hier zum großen Teil neu entstandene Fotosequenzen, einzelne Fotoarbeiten und Videos sowie Wachskreidezeichnungen aus. Die interdisziplinär arbeitende Künstlerin beschäftigt sich auf spielerisch-experimentelle Weise mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit, Zeit und Raum und setzt dabei ungewöhnliche Materialien ein wie Sonnenlicht, Schatten und Erdrotation ein. Wir sehen Situationen, die im ersten Moment nicht ganz ungewöhnlich scheinen, in denen aber dennoch irgendetwas merkwürdig ist.
Auf verschiedene Art und Weise hat sie in der Vergangenheit versucht, die Fotografie, die nur einen Moment im Zeitverlauf fixieren kann, ins Filmische zu transferieren. Fotografie wird von ihr um eine filmisch-bewegte Komponente bereichert und kann nun scheinbar das Unmögliche, Zeit als Prozess im fotografischen Bild darstellen. Zum um einen gelang ihr das mit Fotografien, auf die sie sich im Umriss verändernde Schatten der Dargestellten (und damit anscheinend verstreichende Zeit) projiziert und somit Raum-Zeit-Konstrukte zwischen Realität und Fiktion erreicht hat. Diese sind hier nicht ausgestellt. Eine weitere Möglichkeit ist es, Zeitverlauf in fotografischen Sequenzen darzustellen.
Diese Ausstellung heißt „Broken Flowers“. Broken: dies soll heißen: eine Gebrochenheit der Situation. Es geht nicht darum zu schauen, was im üblichen Sinn echt oder falsch, denn alles, was wir sehen, ist echt und wahr, auch wenn es, sagen wir ‚gefakt‘ ist. Was die Fotografien erzählen, ist eine von Liddy Scheffknecht konstruierte Wahrheit; wollen wir diese Bilder „lesen“, gilt es zu erkennen, was die Künstlerin sagen will. Flowers – alle Bilder zeigen Pflanzen, wobei diese aber nicht auf einen Naturaspekt o.ä. verweisen, sondern rein als Objekte aufzufassen sind. Aufgrund ihrer Vergänglichkeit ruht in ihnen aber stärker der Zeitaspekt als in den Alltagsgegenständen.
Hier werden vor allem Fotosequenzen und Videoarbeiten der Werkgruppe „Sun Works“ gezeigt, poetische Situationen zwischen Sein und Schein mit dem Sonnenlicht und der Erdrotation als Protagonisten. Diese basieren auf Installationen: Zunächst werden Objekte – hier Topfpflanzen oder Schnittblumen und vermeintlich deren Schatten – im Raum installiert. Dazu werden (analoge) Schablonen aus Papier oder Folie in der Umrissform des jeweiligen Objekts bzw. Pflanze auf einem Fenster in der Nähe montiert. Scheint die Sonne durch das Fenster, fallen die Schatten des Papiers oder der Folien in den Raum. Die Erdrotation bewegt das manipulierte Licht- und Schattenbild, das sich von der Form her stetig verändert, durch den Raum, bis die Projektion an dem Objekt/Pflanze anzudocken scheint. Kurz scheint die Situation zu passen, einen Moment lang ist die Illusion perfekt – nämlich dann, wenn der geformte Schatten so fällt, dass es aussieht, als wäre er der reale Schatten der Pflanze. Für ihre Installationen sucht sich Liddy Scheffknecht ganz bestimmte Räume aus und dennoch ist sie auch im Inneren vom Wetter, dem Sonnenlicht und den Tageszeiten abhängig, was häufig zu einem längerdauernden Prozess führen kann. Diese Irritationen hat Liddy Scheffknecht im Laufe der Jahre mit viel Experimentierreichtum erweitert. Wenn wir die Bilder genau anschauen, gibt es überall ein anderes Täuschungsmanöver, aber alle mit der gleichen Absicht: Sie fordern uns auf, genau hinzusehen und uns immer wieder neu zu vergegenwärtigen, wie labil unsere Wahrnehmung ist.
Wir sehen das Foto eines blühenden gelben Löwenzahnstraußes mit dunklem Schatten, schräg gegenüber hängt das Foto von Pusteblumen mit ebenfalls dunklem Schatten. Schauen wir genau hin, sind beide Schatten von den Umrissen her den blühenden Blumen zugehörig. Der Schatten ist in jeder Beziehung eine Konstruktion. Waren die Schatten in ihren Arbeiten bisher meist dunkel wie in der Realität, sind sie in einigen nun farbig, wie z.B. bei der Serie des blühenden Flieders (syringa), der sogar extremfarbig ist und man doch erst einmal realisieren muss, dass er – durch die Verwendung von farbigen Schablonen am Fenster – Fake ist. Oder bei der Campanula addenda, die einen farbigen Schatten wirft, was zweimal nicht sein kann, da sie nicht einmal mehr blüht. Eine weitere Ebene öffnet sich in der dreiteiligen Fotoarbeit (2014) „Ceci n’est pas une plante“, die – in Folge von Magrittes Pfeife – Objekt, Bild vom Objekt und Text – in einen scheinbar widersprüchlichen Zusammenhang stellt. Hier lässt Scheffknecht das zweidimensionale Foto eines Gummibaums einen Schatten werfen. Eine doppelte Irritation. Aber die Illusion wird auch wieder gebrochen, indem sie die Fotografie durch feine Schlagschatten als Konstrukt zu erkennen gibt. […]
Liddy Scheffknecht hat mit viel Einfallsreichtum Situationen geschaffen, die sie gleichzeitig erzeugt und bricht, alles in dem Ansinnen, uns darauf hinzuweisen, wie relativ das ist, was wir sehen und wahrnehmen.
(aus der Vernissagenrede von Petra Noll-Hammerstiel, 15.6.2023, die ganze Rede hier lesen)