Ansicht vorne
Inv. Nr.S-2629
KünstlerBeate Passowgeb. 1945 in Stadtoldendorf, Deutschland
Titel

"Früher oder Später"

Jahr1992
Technik

Cibachrome

Bildgröße28 x 38 cm
Auflage1/3
Signatur

vorderseitig signiert

Kommentar

Die Künstlerin Beate Passow besuchte um 1990 die Villa am Großen Wannsee in Berlin. In dem Haus fand am 20. Jänner 1942 die Wannseekonferenz statt. In der geheimen Besprechung trafen sich fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden um den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.1 Beim Besuch des Museums blieb Passow ein gelber Stoffballen in einer Vitrine in Erinnerung. Der Stoff war mit sogenannten Judensternen bedruckt und stammte aus der Zeit der Nationalsozialisten. Ebenfalls zur Zeit des Besuchs im Museum, Anfang der 1990er Jahre, begann eine Reihe neonazistischer Aufmärsche, rassistischer und fremdenfeindlicher Anschläge in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern. Auch antisemitische Straftaten nahmen ab 1990 erheblich zu. Rechtsextreme Parteien wie NPD, Deutsche Volksunion (DVU) und Die Republikaner (REP) gelangten in einige Landtage.2
Beate Passow, Jahrgang 1945, ist eine der wenigen Künstlerinnen in Deutschland, die sich offensiv mit politischen Themen und Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt.3 Beate Passow arbeitet gegen das Vergessen."4 Gemäß ihrem Konzept Art of memory macht sie bereits in den späten 1980er Jahren die verdrängte deutsche Vergangenheit zum Thema ihrer politischen Kunst. 1992 entwickelt die Künstlerin eine ganze Serie zum Judenstern. Sie bedruckt dafür mit Siebdruck gelben Stoff mit dem Davidstern und dem Wort "Jude". In unterschiedlichen Fotografien oder auch als Mantel findet der Stoff daraufhin Verwendung.
In der Arbeit "früher oder später" inszeniert sich die Künstlerin selbst als Kundin in einem Stoffgeschäft, den von ihr gefertigten Stoff prüfend betrachtend.
Die originalen Judensterne wurden von der Berliner Fahnenfabrik Geitel & Co. produziert. Im September 1941 erhielt Geitel den Auftrag zur Herstellung der Judensterne und produzierte knapp eine Million Sterne innerhalb von drei Wochen.5 Der Stern musste von Juden gut sichtbar auf der linken Brustseite der Kleidung getragen werden. Die Gestapo zwang die jüdische Gemeinde, die Sterne zu verkaufen – 10 Pfennig kostete das Stück.6 Da der Stern stets sichtbar auf der Kleidung getragen werden musste und pro Person nur drei "Sterne" ausgegeben wurden, mussten diese häufig von einem zum anderen Kleidungsstück umgenäht werden.7
Auf dem Bild trägt die Künstlerin ein T-Shirt mit dem Logo der Deutschen Bank und will damit den Zusammenhang zwischen Geld und Antisemitismus aufzeigen. Die Deutsche Bank steht dabei stellvertretend für alle deutschen Banken, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Guthaben auf Konten getöteter Jüdinnen und Juden profitierten. In der Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme kam den Banken eine zentrale Rolle zu. Die Arisierung, die wichtiger Bestandteil der nationalsozialistischen Neuordnung der Wirtschaft nach 1933 war, zielte darauf ab, die Juden nach und nach vollständig aus dem deutschen Wirtschaftsleben auszuschalten und ihre Unternehmen bzw. Vermögenswerte in arische Hände zu übertragen.8 Zudem gab die Deutsche Bank Kredite für den Bau des Konzentrationslagers in Auschwitz und finanzierte auch andere Projekte der SS.9
(Christoph Fuchs, 2023)

 

 

1
Siehe dazu wikipedia.org, https://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz (24.11.2023)

2
Werner Bergmann, "Deutschland" in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus Band 1: Länder und Regionen, Berlin 2008, S. 101.

3
Alexander Braun, aus "Nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern Gegenwartsbewältigung" in: Kunstforum International, Bd. 132 (Die Zukunft des Körpers I), 1995.

4
Helmut Friedel, "Gegen das Vergessen – Den Finger an die Erinnerungswunden legen" in: www.beate-passow.de (Nicht mehr online verfügbar). Archiviert vom Original am 13. Oktober 2017 unter https://web.archive.org/web/20171013224855/http://www.beate-passow.de/de/text_freidel.htm (24.11.2023).

5
wikipedia.org, https://de.wikipedia.org/wiki/Judenstern (24.11.2023).

6
Jüdisches Museum Berlin, https://www.jmberlin.de/dauerausstellung-13-dinge-judenstern (24.11.2023).

7
Jüdisches Museum Berlin, https://objekte.jmberlin.de/object/jmb-obj-134871 (24.11.2023).

8
Siehe dazu Harold James, Die Deutsche Bank und die Arisierung, 2001.

9
Fritjof Meyer, Christoph Pauly und Wolfgang Reuter, "Die Augen fest zugemacht" in: DER SPIEGEL, 6/1999, https://www.spiegel.de/politik/die-augen-fest-zugemacht-a-70edaa61-0002-0001-0000-000008608212 (24.11.2023).

 

S-2629, "Früher oder Später"
Beate Passow, "Früher oder Später", 1992
S-2629, Ansicht vorne
© Beate Passow / Bildrecht, Wien
S-2629, Beate Passow,
Beate Passow, "Früher oder Später", 1992
S-2629, Beate Passow, "früher oder später", 1992
S-2629, Beate Passow,
Beate Passow, "Früher oder Später", 1992
S-2629, Beate Passow, "Mantel mit gelben Sternen",1993