"Loch"
Video (DVD), 6:10 min, Ton
Nur weil ich Paranoia habe heisst das noch lange nicht dass mich niemand verfolgt
Galerie Luis Campaña, Köln
Die auf der Wand der Galerie laufenden Bilder ziehen sofort den Blick an. Da gräbt einer ein Loch, mitten in einem dichten Wald – irgendwo. Die Kamera fährt auf die Füße, die mit braunen Schuhen bekleidet sind, dann über das verschwitzte blaue Hemd, der Mann hebt mit einer Schaufel die Erde aus, das Loch wird immer tiefer, die ausgehobene Erde türmt sich, dann fährt die Kamera über die Bäume, das Zwitschern der Vögel wird ganz laut – wo gibt es so viel Vögel? – dann wieder der gebeugte Rücken, die Schaufel, die Erde, die Geräusche der Schaufel, wieder der Wald, das Vogelgezwitscher – gräbt der Mann nur ein Loch, oder sind es mehrere Löcher? – die zerzausten Haare, noch mehr Erde, unermüdlich, die Kamera fährt herum, der Mann versinkt immer tiefer in seinem Loch, Erde dann erfriert das Bild, der Mann erstarrt für einige Sekunden, dann geht es wieder los; Schaufel, Erde, Gezwitscher… Was man da anschaut ist ein 6-minütiger Film mit dem Titel Loch des jungen österreichischen Künstlers Hans Schabus, der da selbst gräbt. Es ist zum erstenmal, das Arbeiten dieses 1970 geborenen Künstlers in Deutschland gezeigt werden. Anfang des Jahres fiel er mit einer Ausstellung in der Wiener Galerie Kerstin Engholm auf. Sein Film zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich, erst allmählich nimmt man die zwei Vorhänge wahr, welche die seitlichen Fenster zudecken. Es sind braune, bedruckte Samtvorhänge, die eine Szene aus dem Film wiedergeben. Und wie sonderbar, hinter einem der beiden Vorhänge steht ein Mann, vielleicht derjenige, der im Film die Erde schaufelte? Nein, aber seine Schuhe hat er unter dem Vorhang vergessen, oder absichtlich stehen lassen?
Es gibt von Schabus bisher wenige Arbeiten, aber die die es aus den letzten zwei Jahren gibt, wie die Filme 100 Laufmeter, Passagier oder das Projekt Die Schachtel im Zimmer haben etwas gemeinsames: immer sind sie Anspielungen oder Gleichnisse auf den künstlerischen Prozess. Auf die Bedingungen, die Umstände, die Situationen, in denen künstlerische Werke entstehen. Oft kommt das Atelier vor, so in dem Film Passagier und in dem Projekt Die Schachtel im Zimmer, als Ort der künstlerischen Auseinandersetzung, an dem deutliche Spuren dieser Auseinandersetzung festzumachen sind. Diese Spuren werden dann wie im Passagier von einer auf einer Modelbahn befestigten Kamera beobachtet, die auf in 2, 7 Meter Höhe aufgestellten Gleisen durch das Atelier fährt, oder in 27 eingerahmten Fotos, die in einem speziell für diese Fotos gebauten Holzkoffer aufbewahrt werden, dokumentiert.
Und Dokument eines künstlerischen Prozesses ist auch das Projekt, dessen Teil der in der Galerie Campaña laufende Film Loch ist . Wie vorher schon in seinem Atelier, in dem er aus einzelnen Holzteilen Objekte baut, sie zusammen- und wieder auseinanderlegt und dies dokumentiert, “baut” er hier mit der Erde. Es entsteht ein viereckiges Loch und ein Erdhaufen, wie der Film zeigt. Das Geschehen im Film ist aber nur ein Aspekt des von Schabus untersuchten künstlerischen Prozesses. In einem Nebenraum der Galerie sind Pläne ausgestellt, die die Positionen der Kamera, die Schnitte und die dem Film untergelegte Tonspur auf großen Zeichnungen genau darlegen. Der Film verfügt über keinen Originalton, der Ton ist den Bildern erst nachträglich untergelegt.
Dass es sich um keinen Originalton bei diesem Film handelt, merkt der Betrachter zunächst nicht, obwohl er intuitiv weiß, dass hier irgend etwas nicht stimmt. Erst allmählich wird ihm der Widerspruch zwischen der realen Handlung und dem künstlich hergestellten Ton bewusst. Auch dieser Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und der nachgestellten Wirklichkeit ist eine Anspielung an den künstlerischen Prozess. Ist nicht die Fähigkeit, das reale Geschehen mit der künstlerischen Handlung in einen Zusammenhang zu bringen, der das reale Geschehen in einem neuen Licht erscheinen lässt, überhaupt die Voraussetzung jeder künstlerischer Tätigkeit?
Aber wo verläuft die Grenze zwischen dem realen Geschehen und der künstlerischen Handlung? Ist die Grenze überhaupt erfahrbar? Vielleicht indem man die künstlerische Handlung durch ein reales Geschehen ersetzt? Oder das reale Geschehen durch die Handlung des Künstlers. Was geschieht in dem Film Loch? Ist der, der da gräbt, ein Künstler? Gräbt er oder vollzieht er eine künstlerische Handlung? Nur weil er gräbt, heißt das noch lange nicht, dass er ein Künstler sei, könnte man in Anspielung an den Titel der Kölner Ausstellung “Nur weil ich Paranoia habe heißt es noch lange nicht dass mich niemand verfolgt” sagen.
Gräbt er oder ist er künstlerisch tätig? Durch diese Fragestellung gelingt Schabus eine seltsame Umkehrung des künstlerischen Prozesses, der normalerweise nur so weit von Interesse ist, als dass er ein Kunstwerk als das Ergebnis anstrebt. Bei Schabus ist der Prozess der Entstehung eines Kunstwerkes das Kunstwerk selbst. Aber Vorsicht! Nur, weil wir einen Künstler ein Loch graben sehen, heißt das noch lange nicht, dass ein Künstler ein Loch gräbt.
(Noemi Smolik, Kunstforum, Bd. 153 Choreografie der Gewalt, 2001, S. 365)