ohne Titel
C-Print (analog) auf PVC-Platte
signiert und datiert (Bleistift) auf Plattenrückseite
Man muss schon Zeit investieren und Elfriede Mejchars Bilder konzentriert zu betrachten. Dann wird erkennbar, dass ihr gelingt, was zum Schwierigsten in der Fotografie gehört: nämlich die Dinge so darzustellen, dass der vermeintliche Widerspruch zwischen einer subjektiven Sichtweise eines Gegenstandes und dem Objekt an sich aufgehoben zu sein scheint – durch ihre völlig unprätentiöse und selbstverständliche Weise, Bilder zu erzeugen. Das gelingt nur mit langer Erfahrung, einem wohltrainierten Auge und mit virtuoser Beherrschung der technischen Möglichkeiten. […]
Während ihrer langjährigen Tätigkeit für das Bundesdenkmalamt hat, Mejchar vor allem Architektur und Skulpturen fotografiert. Nach ihrer Pensionierung 1984 fand sie – da ihr das Fotografieren von Skulpturen immer besondere Freude bereitet hat – in den Blumen, die sie im eigenen Garten gezogen hat, einen würdigen Ersatz.
Am meisten haben sie Tulpen und Amaryllis interessiert, die sie zum richtigen Zeitpunkt ins Studio genommen hat, um ihre Reaktion auf Licht und Wärme zu beobachten. Die Wahl des Blickwinkels auf das Objekt, die Höhe des Augenpunkts, ist dann ebenso entscheidend wie in der Fotografie von Skulpturen. […]
Fotografie ist also primär das Ergebnis des Standpunkts des Fotografen im Verhältnis zu einem dreidimensionalen Objekt, den passenden Augenpunkt im Raum zu finden, seine wichtigste Aufgabe. Dabei kommt es auf die Wahl des richtigen Objektivs an. Elfriede Mejchar arbeitet bei ihren Blumenbildern mit einer Mittelformatkamera und einem 100mm-Objektiv, um Verzerrungen zu vermeiden. Meist fotografiert sie die Blüten zur Gänze, manchmal aber konzentriert sie sich auch nur auf das Innere, was ein Spiel mit Schärfe und Unschärfe erlaubt. Für ihre ausgeklügelte Lichtführung hat sie meist eine von hinten beleuchtete Milchglasscheibe als Hintergrund verwendet oder ein Lichtzelt, das auch beim Fotografieren von Besteck oder Metall eingesetzt wird.
Ein Großteil ihrer Aufnahmen sind sehr ausdrucksstarke Farbbilder, doch gerade in der Anfangszeit hat sie schon aus Kostengründen in Schwarz-Weiß gearbeitet. Im Bestreben, ,,mehr“ aus diesen Abzügen zu machen, hat sie begonnen, mit Schwefel zu tonen oder aber ,,cross“ zu vergrößern, d.h. ein Diapositiv wie eine normale Negativ-Vergrößerung auszuarbeiten, was eine umgekehrte und somit eigenartige Farbigkeit erzeugt. Auch die Blumen selbst wurden, „verändert“ und z.B. kopfüber zum Trocknen aufgehängt, wofür sich aber nur jene Amaryllis-Sorten eignen, deren Blütenblätter durchsichtig werden.
Mejchar war nie an der Lieblichkeit der Blumen interessiert, sondern vielmehr an ihrer „Konstruktion“. Es ging ihr nicht um die Nachahmung der Natur, sondern darum, hinter die Fassade der Schönheit zu schauen: „Für mich sind Blumen wie Statuen und die Gesichter der Heiligen. Die Formen sind doch irgendwie ähnlich, wenn man genau hinsieht. Auch Blumen sind Gegenstände. Außerdem wollte ich die Blumen besitzen, genauso wie die Plastiken. Die Blumen konnte ich mit nach Hause nehmen, die Plastiken nicht.“
(Fritz Simak, „Blumen als Ersatz“, in: Elfriede Mejchar. Fotografie, Weitra 2014, S. 177ff)