"Entscheidungsnotstand"
GBK# JK 190
C-Print
rückseitig signiert, datiert und nummeriert
Nicht eindeutig gibt sich Schwarz als eine wesentliche Farbe der radikalen Moderne. Es suggeriert Erhabenheit und Leere, Kosmos und Apokalypse und das vor allem in einem pathetisch männlichen Aspekt in der New York School nach 1950. Schwarz sein können aber auch der Humor und die Anarchie, und da meldet sich Europa ab 1960 wieder zu Wort. Manchmal ist dann die Reaktion ein Anschwärzen jener Schwarzmalerei, eine Ablehnung von deren Theatralik: Der "Deus ex machina" wird in Klaukes ganzer Werkgruppe "Desaströses Ich" – mit dem zweiten Titel "Trost für Arschlöcher" – zur Marionette, die Waschschüsseln suggerieren klinische Momente großen Unbehagens. Dies ist auch in der dreiteiligen Fotoarbeit Seinstrübung (1996/2000) zu finden, und darüber hinaus stellt der Künstler die mittels Fotografie am besten vermittelbare rasende Bewegung dar. Die Diskrepanz zwischen jener hell erscheinenden Verwischung des Stillstands und dem dunklen, schmalen, aber gleich bleibend undefinierten Raum bildet einen der Angriffe auf heroisches Pathos.
Zwei Bilder der Serien aus dem letzten Jahrzehnt nehmen die in den 1970er thematisierte Konstruktion von Geschlecht in rot getönten Fotoarbeiten wieder auf Entscheidungsnotstand (1996/97) und Bewußtseinserweiterung (1996/2000). Klauke platziert die Frau ohne Widerstand als ein durch Tische stapelbares Gut, austauschbar mit männlichen Modellen. Die Einsamkeit der Darstellerinnen ist neben verstärktem Schattenspiel durch niedrigen, seitlichen Lichteinfall besonders durch die Reduktion auf das Fleischliche gegeben. Dazu verstärkt die rote Tonung das Gefühl, vor vermeintlichen Schlachtbanken für zukünftige Klone zu stehen. Die Schwarzkunst der vorwissenschaftlichen Alchemie ist hier der Technikgläubigkeit der Reproduktionsmedizin gewichen.
(aus: Brigitte Borchhart-Birbaumer, Antifaustus Jürgen Klauke oder stirbt das Genie in schwarzer Anarchie? in: Museum Moderner Kunst Passau (Hg.), Jürgen Klauke, Hoffnungsträger. Aspekte des Desaströsen Ich, 2006)