"Moderata Fonte (1555 -1592)"
Duratrans Abzug auf Acrylglas, Leuchtkasten
rückseitig signiert, betitelt, datiert und nummeriert
Moderata Fonte (1555-1592)
Die Alice Schwarzer der Renaissance
Geboren im Jahr 1555 als zweites, auf den Namen Modesta getauftes Kind der Marietta und des Hieronimo da Pozzo, die dem wohlhabenden und kultivierten venezianischen Bürgertum angehören, jedoch bereits 1556 sterben. Modesta kommt in das Kloster San Marta, wo sie durch ein außergewöhnliches Gedächtnis und ihre Schlagfertigkeit auffällt. Dem ebenso berühmten wie dickleibigen Prediger und Dichter Gabriele Fiamma als Wunderkind vorgeführt, fühlt sich dieser bemüßigt, die zarte Modesta als „körperlosen Geist“ zu bezeichnen. Wenn sie ein „körpe- rloser Geist“ sei, dann wirke er auf sie wie ein „geistloser Körper“, kontert Modesta. Mit neun Jahren kommt sie in das Haus Saraceni, der großelterlichen Familie mütterlicherseits, wo sie Lehrstoff aus dem Schulranzen ihres älteren Bruders Leonardo bezieht und sich allein lateinisch Lesen und Schreiben beibringt. Und sie dichtet. Unter dem sprechenden Pseudonym Moderata (i.S.v. maßgeblich, selbst bestimmend) Fonte (Brunnen, Quelle) veröffentlicht sie 1581 die „Dreizehn Gesänge des Floridoro“ und „Die Festtage“, danach das geistliche Spiel „Das Leiden Christi“. Sonette, Kanzonen und Madrigale zu verschiedenen Themen, die sie als Auftragsarbeiten verfasst, erscheinen anonym. 1582 lässt sich Moderata Fonte in ihrem Schreibfluss bremsen: vom Steueradvokaten Filippo de’ Zorzi, den sie heiratet und zum dreifachen Vater macht. Zwischen 1588 und 1592 schreibt sie am „Verdienst der Frauen“ („Il merito delle donne“), das sie an dem Tag vollendet, an dem sie 37-jährig im Kindbett, bei der Geburt ihres vierten Kindes, stirbt. „Das Verdienst der Frauen gefasst von Moderata Fonte in zwei Tagwerke, in denen offenbar wird, wie würdevoll sie sind und wie viel vollkommener als die Männer“ (wie der Titel vollständig lautet) erscheint posthum im Jahr 1600. Mit diesem Buch überlebt „Madonna Modesta“ (Biograf Giovanni Nicolò Doglioni, 1593) – nun wirklich ein „körperloser Geist“. Geistreich und ironisch formuliert, erfolgt die Auseinandersetzung mit den Über-, Unter- und Verlegenheiten der Frauen respektive Männer in einer rein femininen Gesprächsrunde – ein Novum innerhalb der Dialogliteratur im italienischen Geschlechterstreit des 16./17. Jahrhunderts, der „Querelle des Femmes“, die Teil eines gesamteuropäischen Phänomens ist. In der in Romanform angelegten, protofeministischen Streit- schrift entwickelt die Dichterin einen Plot mit sieben Frauen, deren Verschiedenheit in Alter, Stand und Temperament es ihr gestattet, die unterschied- lichen Standpunkte aufeinanderprallen zu lassen, ohne selbst einzelne Behauptungen aufzustellen oder persönlich Position zu beziehen. Die Venezia- nerinnen versammeln sich in einem Palastgarten an einem sechseckigen Brunnen (fonte) mit allegorischen Figuren, die für Keuschheit, Einsamkeit, Freiheit, Arglosigkeit (der Frauen) sowie für Falschheit und Grausamkeit (der Männer) stehen. In der Mitte die siebte Figur: eine Frau mit Wasser spenden- den Brüsten, die in der Konversation von Corinne personifiziert wird, die mit ihren Vorträgen den Wissensdurst der lauschenden Geschlechtsgenossinnen stillt, und womit die „Alice Schwarzer der Renaissance“ (deutscher Buchrezensent, 2001) für den weiblichen Zugang zu den Wissenschaften wirbt.
Donne Illustri
Caffè Florian am Markusplatz in Venedig: Im „Saal der berühmten Männer“ (Sala degli Uomini Illustri) hängen zehn Ölgemälde von Giulio Carlini (1826–1887). Dessen postum gemalte Porträts der berühmter Venezianer – von Marco Polo über Tizian bis Goldoni – konfrontiert Irene Andessner mit zehn Venezianerinnen, darunter der Stadt berühmteste Komponistin (Barbara Strozzi), Malerin (Rosalba Carriera) und teuerste Kurtisane (Veronica Franco), sowie die erste Doktorin (Elena Lucrezia Cornaro Piscopia) und die erste Frauenrechtlerin der Welt (Moderata Fonte). Mit dieser Intervention verwandelt sich die Sala degli Uomini Illustri in die Sala delle Donne Illustri (Salon der berühmten Frauen). Eine vexierbildartige Irritation: Von Maske, Garderobe, Licht, Dekoration und Bildausschnitt abgesehen, weichen Andessners Darstellungen von den historischen Bildreferenzen der zehn Frauenfiguren ab: Sie hat nicht die Haltung und Blicke der Frauen, sondern der Männer aus den zu überhängenden Porträts nachvollzogen. Damit ist das Selbstverständnis, die Präpotenz, der männlichen Pendants gebrochen.
Ein weiterer Raum, Saletta Liberty, erhält einen Leuchtkasten mit einem Fonte/Andessner-Ganzkörper-Fotoporträt und einem „Fonte“-Porträt in Öl auf Leinwand, für das Andessner im Atelier von Marinella Biscaro Modell gesessen hat.
„7 Gentildonne“: Im Vorfeld der Ausstellung beruft Andessner im Caffè Florians Herrensalon ein Treffen von sieben Italienerinnen ein – als zeitgenössische Interpretation von Moderata Fontes Streitgespräch „Das Verdienst der Frauen“ (Il Merito delle Donne), per Video dokumentiert und im Ausstellungskatalog wiedergegeben.
In der Fotoproduktion für das Venedig-Projekt entstehen zusätzlich Ganzkörper-Porträts, die die historisierenden (in der Rauminstallation nur in ovalen Büsten-Ausschnitten sichtbaren) Frauendarstellungen mittels Styling vollends in unsere Gegenwart transponieren. In diesen Bildern ist auch zu sehen, dass die Künstlerin den Kameraauslöser in der Hand hält, also – im Gegensatz zu früheren Produktionen – selbst das Bild auslöst, und zwar genau in dem Moment, in dem sie sich der jeweiligen Rolle innerlich so gewachsen fühlt, dass sie sich sicher ist, die Persönlichkeit der jeweiligen Vorbild-Frau perfekt zum Ausdruck zu bringen. Diese Arbeitsweise entspricht den historischen Venezianerinnen, die ihre Profession ebenfalls selbstbestimmt und selbstständig, unabhängig von Männern, entwickelt und gelebt haben. Die Ganzkörper-Selbstporträts sind in lebensgroßem Maßstab als Leuchtkästen ausgeführt.
Das Projekt „Donne Illustri“ findet, kuratiert von Stefano Stipitivich, im Rahmen des Kunstprogrammes des Caffè Florian statt. In der vor 15 Jahren von der Caféhausbesitzerin und Kunstsammlerin Daniela Gaddo Vedaldi gestarteten Ausstellungsreihe waren bisher Künstler wie Mimmo Rotella (1990), Fabrizio Plessi (1993 und 2001) und Luca Buvoli (1997) vertreten.