Actual
(1924-2020)
Im Gedenken an die großartige Fotografin Elfriede Mejchar,
die am 11. Oktober 2020 96-jährig verstorben ist.
Video-Porträt Elfriede Mejchar aus der Serie CollectCast NÖ (7:28 Min)
Geboren 1924 in Wien, verbrachte Elfriede Mejchar ihre Kindheit und frühe Jugend in Niederösterreich. 1939 folgte sie ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Norddeutschland, wo sie von 1941 bis 1944 das Fotografenhandwerk erlernte. Kurz vor dem Ende des Krieges kehrte sie nach Österreich zurück und erhielt vom Institut für Denkmalpflege, dem späteren Bundesdenkmalamt, den Auftrag, die Bombenschäden an den historischen Gebäuden von St. Pölten fotografisch festzuhalten. Von dieser Zeit an war Elfriede Mejchar bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1984 als Fotografin beim Österreichischen Bundesdenkmalamt beschäftigt, um bedeutende Kunstwerke und kulturelle Baudenkmäler zu dokumentieren. Parallel zu ihrer beruflichen Tätigkeit nahm sie verschiedene andere Aufträge wahr und entwickelte insbesondere bei ihren privaten Streifzügen durch ihre Heimatstadt Wien einen individuellen fotografischen Blick, der in einem äußerst umfangreichen und vielseitigen künstlerischen Oeuvre Niederschlag fand.
Dennoch trat sie mit ihren künstlerischen Arbeiten erst im Alter von 52 Jahren an die Öffentlichkeit, nämlich 1976, als im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien ihre erste Einzelausstellung stattfand. Gezeigt wurde damals eine Auswahl aus der etwa 300 Aufnahmen umfassenden Serie über die Simmeringer Heide und den Erdberger Mais, die im Zeitraum 1967–1976 entstanden sind. Zu der Zeit, als Elfriede Mejchar diese Gebiete an der südöstlichen Peripherie Wiens entdeckte, handelte es sich um eine verwahrloste Gegend mit verwilderten Grünflächen, verfallenen Gärtnereien und aufgelassenen Fabriken. In Österreich würde man dafür das Wort „Gstätten“ gebrauchen, wobei heute kaum mehr etwas darauf hindeutet, da die einstigen Ränder längst der Stadt einverleibt und urbanisiert wurden. Derart „unspektakuläre“ Gegenden mit ihren zivilisatorischen Spuren, die der Mensch im Großen wie im Kleinen hinterlässt, haben Mejchar zu einem Zeitpunkt fasziniert, als von einem diesbezüglichen Trend in der Fotografie noch keine Rede war. Was sie dabei angetrieben hat, war eine vergnügte Neugierde und ein inständiger Drang, Dahinschwindendes zu bewahren, indem sie es fotografiert.
Ihr Interesse galt dabei stets auch der "Möblierung der Landschaft", also abgestellten Dingen wie z.B. Autowracks oder sonstigem Sperrmüll, aber auch Strommasten, die in Kombination mit dramatischen Wolkenstimmungen ihren Bildern einen Hauch Romantik verleihen.
Von besonderer Bedeutung sind auch ihre Aufnahmen von den markanten Gasbehältern in Wien-Simmering, die 1899 als größtes Gaswerk Europas eröffnet wurden und seit 2001 unter anderem Wohnungen und Geschäfte beherbergen.
Anknüpfend an ihre Expeditionen durch die Simmeringer Haide und den Erdberger Mais begab sich Elfriede Mejchar in den darauffolgenden Jahren auch in anderen Bezirken Wiens immer wieder auf die Suche nach interessanten Relikten des Industriezeitalters. So entstand im Laufe der Zeit ein eindrucksvolles fotografisches Archiv längst verschwundener Industriedenkmäler: von den "Wienerberger Ziegelöfen", über die "Stadlauer Malzfabrik" bis hin zum Chemiewerk von Victor Alder, dem sie das Portfolio "Aether ad narcosim" widmete. Im Unterschied zu ihren sonst meist neutralen, zurückhaltenden Kompositionen thematisierte Mejchar hier explizit den Verfall der in Sichtziegelbauweise errichteten Fabrik im 10. Wiener Bezirk. Victor Alder, Chemiker und Experte auf dem Gebiet der Sprengstoff- und Munitionstechnik, produzierte für den Krieg, was für Mejchar wohl der Grund war, diesen Ort aus einer bewusst subjektiven Perspektive zu dokumentieren. So gerät das Skelett einer Taube neben einem martialisch wirkenden Schraubenschlüssel zu einem Sinnbild der düsteren Vergangenheit dieser Produktionsstätte, die für Tod und Zerstörung steht.
Mit ihrer scharfsichtigen und pionierhaften Dokumentation des industriellen Erbes übte sie nicht nur große Wirkung auf die österreichische Fotografie der Nachfolgegeneration aus, sondern schuf damit auch bedeutsame Zeitzeugnisse, die für eine sich rasch wandelnde Gesellschaft von unschätzbarem Wert sind.
Neben dem reichen Fundus an Fotografien, die dem Anspruch und der Ästhetik des Dokumentarischen folgen, umfasst Elfriede Mejchars Œuvre auch eine Vielzahl von reinen Atelierarbeiten, deren Motivik von Pflanzenstudien über skurrile Stillleben bis hin zu Collagen und Experimenten mit Sandwichtechnik reicht.
Wenngleich Elfriede Mejchar unbestritten zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der österreichischen Fotografie zählt, erfuhr sie erst im hohen Alter die ihr gebührende öffentliche Anerkennung, nämlich 2002 durch den Würdigungspreis für künstlerische Fotografie des Bundeskanzleramtes und 2004 durch den Würdigungspreis für künstlerische Fotografie des Landes Niederösterreich sowie den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst.
Im Jahr 2013 hat Elfriede Mejchar ihr Gesamtwerk als Schenkung dem Land Niederösterreich überantwortet. Die Landessammlungen Niederösterreich haben damit die ehrenvolle Aufgabe übernommen, dieses einzigartige Œuvre für nachfolgende Generationen zu sichern und es sukzessive öffentlich zugänglich zu machen.
Alexandra Schantl, 2020
(Kustodin der Landessammlungen Niederösterreich)
Landessammlungen Niederösterreich
Auch die Sammlung SpallArt besitzt eine Vielzahl von Werken der großartigen Künstlerin, viele davon sind Bilder von Blumen. Blumen waren für Elfriede Mejchar ein würdiger Ersatz für die unzähligen Skulpturen, die sie im Rahmen ihrer Tätgikeit für das Bundesdenkmalamt fotografiert hatte. „Blumen sind Objekte, die nach einer direkten Interpretation verlangen."
Ein weiteres filmisches Porträt aus dem Jahr 2010 gestaltet von Harald Burger, als Folge von butterbrot auf OktoTV, angeregt von Robert Zahornicky
Elfriede Mejchar. Ein Leben für die Fotografie (45:02 min)